Geschichte der Glasperle von R. Müssler

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Natürliches Glas

Vor Erfindung des Glases gab es nur natürliche Glasvorkommen in Form von Obsidian, den man in der Nähe von Vulkanen und Meteoriteneinschlägen fand. Es handelt sich um ein magmatisches Gestein, das sich durch rasches Abkühlen vulkanischer Lava bildet. Es tritt überwiegend in schwarz auf, aber auch andere Farben sind möglich (grünlich-schwarz, rotbraun, grau. bläulich, etc.) und ist durchscheinend bis undurchsichtig. Obsidian wurde kalt verarbeitet, und für Pfeilspitzen, Messer und Werkzeug verwendet. In der Neuzeit haben Astronauten natürliches Glas auf dem Mond gefunden.

Anfänge im Orient

Um 3500 v Chr. wurde in Ägypten und Mesopotamien das erste Glas erzeugt, vermutlich als Zufalls- und Nebenprodukt aus der Keramikherstellung. Das Glasieren war als Veredlungsform in der Töpferei bekannt. Die zufällig entstandenen Glasklumpen wurden heiß ins Wasser geworfen, die so entstandenen „Fritte“ zu Grieß vermahlen und weiterverarbeitet. Es entstanden Zwischenprodukte aus Glas und Keramik, wie sie heute noch in Syrien hergestellt werden. In Ägypten gibt es das einzige natürliche Natron-Vorkommen im Wadi Natrun (ca. 100 km von Kairo entfernt), von dem man die Bezeichnung Natron ableitete. Die alten Ägypter gewannen dort das Natron aus den zahlreichen flachen Seen, die im Sommer austrocknen. Sie verwendeten Natronlösung zur Mumifizierung, da es eine antiseptische und dehydrierende Wirkung hat. Natron-Kalk-Glas ist der häufigste Glastyp der Antike. Es wird auch heute noch aus Natriumoxid, Kalziumoxid und Siliziumoxid (Quarzsand) hergestellt. Weniger bedeutend ist das Natron-Kalk-Magnesium Glas, der im restlichen Mittelmeerraum mit Hilfe von Pflanzenasche hergestellt wurde. Die ältesten Glasfunde der Welt sind Ägypten und Mesopotamien zuzuordnen. Es sind kleine Gegenstände, Perlen, Schmuck und Talismane. Die ersten Perlen hatten einen kleinen Tonkern. 1500 v. Chr. wurden die ersten kleinen Hohlgefäße über Sandkern bzw. Tonkern folgendermaßen hergestellt: Aus sandigem Lehm wurde ein Kern mit dem inneren Profil des Gefäßes geformt. Der Lehmkern wurde auf eine Stange gesteckt und in geschmolzenes Glas getaucht bzw. darin gewälzt. Dann wurde das Glas auf dem Kern über einem Feuer geformt und geglättet. Nach dem Abkühlen wurde der Kern vorsichtig entfernt. So entstanden kleine Gefäße, deren Innenflächen ziemlich rau waren. Dieses langwierige und mühsame Verfahren machte für lange Zeit Glasgefäße zu reinen Luxusgegenständen, die meist zur Aufnahme von Duftölen oder ähnlich wertvollen Essenzen dienten. Ab 800 v. Chr. begann die Bearbeitung der Glasgegenstände durch Schleifen und Polieren mit Bimsstein und Holz, zuerst nur Facetten, später konvexe Formen. Gebrauchsglas war den Herrschern vorbehalten und äußerst selten. Es gab nur sehr wenige Produktionsstätten in der antiken Welt und es wurde mehr mit Rohglas als mit fertigen Glasprodukten gehandelt. Die Glasmacher in Ägypten entwickelten einen sehr hohen handwerklichen und künstlerischen Standard. Komplizierte bunte Muster wurden bevorzugt, die ein ausgereiftes handwerkliches Können und vor allem theoretisches Wissen über das Glas erforderten. Auch in anderen Ländern wie Syrien, Mesopotamien und Phönizien entwickelte sich die Glaskunst fort. Der vordere Orient exportierte Glasartikel, Perlen, Ketten, Gläschen und Döschen. Salben und Öle aus Syrien und Ägypten wurden in der ganzen damaligen bekannten Welt gehandelt. Phönizische Händler brachten ab dem 2. Jahrtausend v. Chr. Rohglas und Glasprodukte über den Seeweg nach ganz Europa. Das führte zu einem hohen Bekanntheitsgrad des so genannten „Phönizischen Glases", was aber vermutlich nur teilweise selbst erzeugt und teils Handelsware aus anderen Glas produzierenden Ländern war.

Anfänge in Europa

Parallel dazu gab es auch in Europa eine Entwicklung des Glashandwerkes, aber weniger spektakulär in der Kunstfertigkeit. Nachgewiesen ist ein lokales Glasvorkommen in Frankreich, ca. 2000 v. Chr., vermutlich als Nebenprodukt der Kupferherstellung.

Aus der Bronzezeit ca. 1500 v. Chr. ist ein Vorkommen aus Großbritannien bekannt.

Ab 2000 v. Chr. gab es in Europa produzierte Glasperlen, aber nur einfarbig und in geringen Mengen. Sie sind überwiegend blau und grün gefärbt (Verbindung zum Kupfer).

In der Bronzezeit (1200 v. Chr.) kamen sie häufiger vor, nun auch in verschiedenen Formen und Mustern und die Herstellungsweise war erkennbar auf Masse gerichtet. Zu dieser Zeit wurden sie nicht mehr als Einzelstücke, sondern in ganzen Schnüren gehandelt. Die zweifarbigen Perlen dieser Zeit sind immer blau, blaugrün, grün oder purpurn und braun (also dunkel) mit heller Glasauflage (weiß oder gelb).

Keltische Perlen

Die erste in Europa bekannte Produktionsstätte von Glas ist im heutigen Slowenien nachgewiesen, aus dem 7. - 6. Jahrhundert v. Chr. (frühe Eisenzeit). Auch hier überwiegen monochrome Perlen, Zickzackmuster und Schichtaugen. Aus dem 6. -4. Jh. v. Chr. stammen die berühmten Glasperlen aus Novo Mesto, im heutigen Slowenien. Dazu gehören auch Bernsteinschnitzereien und mehrschichtige Augenperlen, sowie figürliche Perlen wie die „Widderköpfchen“. Typisch für keltische Produkte waren kugelige und ringförmige Perlen

Die beliebtesten Muster von 300 v. Chr. - 0 im deutschen und schweizerischen Raum:

Kugelige Perlen: Fadenauflagen, (einfarbig und Schraubenfäden), Noppen und Noppenaugen, Gittermuster, Schichtaugen, Spiralaugen, Sprenkel.

Große Ringe: Gittermuster, Sprenkel, Schraubenfäden. Als Einzelperlen, nicht Bestandteil von Ketten.

Kleine Ringe: einfarbig, radial gebändert, als Bestandteil von Ketten.


Ab dem 3. Jh. v. Chr. tauchten die ersten Armringe auf. Sie waren aus klarem Glas, obwohl das technisch schwieriger herzustellen war. Später erst wurden die Ringe farbig. Selbst wenn die Kelten das Rohmaterial einkauften, kannte sie das Geheimnis des Entfärbens. Bei den farbigen Armringen kamen nur 5 Farben vor: Überwiegend blaue Farbtöne aber auch Klarglas (teils mit gelben Folien), Purpur, grün und braun. Die verschiedenen Muster, Wülste, Noppen und Folieneinlagen zeugen von einem hohen Bearbeitungs- und Kenntnisstand. Das Glas der Armreifen unterscheidet sich in der chemischen Zusammensetzung von dem Glas der Perlen. Es sind andere Härten und andere Farbtöne. Auch die von Gebiet zu Gebiet unterschiedlichen Farbtöne lassen darauf schließen, dass das Glas entweder vor Ort hergestellt oder aber zumindest veredelt wurde.

Römische Zeit

Ca. 100 v. Chr. wurde als weitere einschneidende Erfindung die Glasmacherpfeife erfunden. Jetzt war es möglich, größere Gegenstände aus Glas zu fertigen und Gebrauchsgegenstände herzustellen. Durch die Verwendung von Modeln wurde es möglich, Glasgefäße in komplizierten Formen herzustellen. Das Glas wurde zum beliebten Handwerksstoff der römischen Welt. Es gab bereits aus Ägypten bekannte Murinis, Mosaiken, Mehrschichtglas, neu hinzu kamen Überfang- und Unterfanggläser, Schalen mit Goldeinlagen und geschliffenen Portraits. Es entwickelte sich ein hohes handwerkliches Geschick in der Glaskunst. Die Glasherstellung wurde handwerklich perfektioniert, optimiert und rationalisiert. Es gibt aus dieser Zeit sogar Glasgegenstände die mit Gold dekoriert sind. Die römischen Perlen imitierten überwiegend teure Edelsteine. Sie waren Handelsware und Währung in einem: Sie waren klein, leicht zu transportieren, unverderblich, schön und beliebt.

Zwischen dem 1. und 4. Jahrhundert wurde die im Mittelmeergebiet bereits hoch entwickelte Glas-kunst in alle römische Provinzen verbreitet. Römisches Glas konnte von keltischem darin unterschieden werden, dass es eine Iris hatte.

Seit der Römerzeit gab es auch Belege für Glasproduktion nördlich der Alpen. Ab 150 n. Chr. wurde beispielsweise in Köln Glas produziert und verarbeitet, kurz danach im ganzen Rheinland.

Das Wissen um die Glasherstellung und Glasverarbeitung war in der ganzen damaligen bekannten Welt verbreitet, das Zentrum war Rom. Doch dann spaltet sich das Römische Reich, Konstantinopel wurde zur Weltmacht und im Reichtum entwickelte sich die Kunst weiter.

Venedig

Ab dem 9. Jh. hatte Venedig die bestimmende Flotte im Mittelmeerraum, und ab dem 11. Jh. das Monopol für den Osthandel. Im Jahre 1202 startete der 4. Kreuzzug von Venedig. 1204 fiel Konstantinopel, und die Glasmacher flohen nach Venedig, wo ihre Produkte immer schon gehandelt wurden. 1400 wurde Damaskus zerstört, und bis 1486 fielen immer wieder Gebiete aus dem byzantinischen Reich an Venedig, das seine Macht und Bedeutung ausbaute, und Ende des 15. Jh. die Spitzenposition des Internationalen Glashandels hatte. Durch die Symbiose von venezianischen und byzantinischen Glasmachern entstand eine einzigartige Mischung aus Wissen, Können und Kreativität.

Es gab einen gesetzlichen Schutz des Monopols in Venedig:

1275 wurde die Ausfuhr von Alaun, Sand und Glasbruch verboten. 1291 wurden die Glasbläser auf Murano umgesiedelt. 1454 und 1547 wurde den Glasmachern verboten, Kontakt zu Verwandten und Bekannten außerhalb der Republik zu haben oder auszureisen.

Venedigs Glasmacher hatten zwar hohe Privilegien, aber auf Verrat von Geheimnissen stand die Todesstrafe. Hauptprodukt dieser Glasmacher waren Perlen. Die Produktion der Perlen wurde ständig verbessert, es wurde experimentiert und rationalisiert. Es gab die Perlen hohl und massiv, einfarbig und bunt, mit hochkomplizierten Mustern, gezogen und gehackt, getrommelt und gewickelt. Es wurden ständig alchimistische Versuche und neue Färbeverfahren ausprobiert. Man experimentierte mit eingebrannten Materialien, farbigen Scheiben, Fenstern und fremden Stoffen.

Die Perlen waren im 15. Jh. Haupthandelsgut in alle Länder und begehrt wie nie zuvor. Die bekannte Welt wurde größer, die Nachfrage steigerte sich, die Gewinne stiegen ins unermessliche.

Afrika tauschte gegen Öl, Gold und Sklaven, Europa brauchte Unmengen von Perlen für Rosenkränze, die Muslimische Welt für Gebetsketten. Nach 1492 flossen Tonnen von Perlen in den Amerikahandel, wo Glas bislang unbekannt und äußerst begehrt war. Im Gegenzug wurde aus Amerika Silber importiert, das bis dato in Europa äußerst selten und teuer war.

1516 wurde der Spiegel erfunden (Polierte Glasscheibe mit Silber), auch die Chevronperle (Aggryperle) ist eine Erfindung dieser Zeit.

Die Glasproduktion nördlich der Alpen

Nach Abzug der Römer gab es keine eindeutigen Nachweise für eine Glasproduktion mehr. Vermutlich wurde die Produktion aber 400 n Chr. von den Alamannen übernommen und bis 800 n. Chr. weiter gepflegt. Die alamannischen Perlen waren insgesamt weniger aufwendig, aber die ehemalige Kunst war noch zu erahnen. Neu waren die vielen Formen. Die Perlen waren nicht nur rund, sondern auch in Form von Walzen, Oliven, Würfeln und vieleckig.

Perlenketten wurden überwiegend in Frauen- und Kindergräbern gefunden. Es handelte sich um Mosaikperlen, Perlen mit Fadenauflagen, Gittermustern. Man trug sie häufig als Ketten, manchmal kombiniert mit Perlen aus anderen Materialien wie Bernstein. Ähnliche Muster tauchten auch ab 800 n. Chr. bis ins 10. Jh. bei den Wikingern auf. Sie trieben Handel auf der ganzen Welt, vermutlich schon mit Amerika. Es wurden große Hortfunde mit Handelsgut gemacht, unter anderem mit Perlen.

Im Konzil von Reims (803) und Konzil von Trient (895) verboten die Päpste Leo III und Leo IV das Glas und seine Verwendung in Gottesdiensten. Glasbläserei wurde als heidnischer Akt und Glas als Teufelszeug verrufen.

Im sogenannten „Mittelalter“ bekam das Glas wieder einen neuen Stellenwert. Die Gotischen Kathed-ralen aus dem 11.-13. Jh. wurden mit bunt bemalten Glasscheiben ausgestattet, und die Edikte und Konzile aus dem 9. Jh. werden überarbeitet. Die Kirche trat wieder als Auftraggeber in Erscheinung.

Mit der Erfindung des Rosenkranzes um 1250 stieg der Bedarf an Perlen und insbesondere Glasperlen ganz enorm an. Es gab städtische Gilden der Glasperlenmacher.

Die Produktion in Wanderglashütten lebte auf, bevorzugt in waldreichen Gebieten wie Thüringen, Spessart, Schwarzwald, Bayrischen Wald, Fichtelgebirge, Böhmerwald, Erzgebirge und Riesengebirge. Im Wald fanden die Glasmacher Heizmaterial, Sand und aus Buchen und Eichen wurde Pottasche hergestellt.

Aus dem 17. und 18. Jh. sind ortsfeste Glashütten bekannt, oft in der Nähe von Klöstern. Der Bedarf an Glasfenstern, Gefäßen und Perlen wuchs, und man wollte nicht mehr auf Importe angewiesen sein. Schlepper schmuggelten ganze Glasbläserfamilien aus Murano an europäische Fürstenhöfe wie Augsburg und Nürnberg. So gab es zum Beispiel einen reichen Kaufmann aus Amsterdam, der eine Glasmacherfamilie bei sich ansiedelte, und über mehrere Jahrzehnte wurde ein bestimmter Perlentyp nachweislich nur in Amsterdam und Venedig produziert. Durch die Buchdruckerkunst konnten Glasrezepte aufgeschrieben und verbreitet werden. So wurde das Monopol Venedigs für die Glasproduktion und den Glashandel untergraben. Dazu kam eine Verteuerung der Rohstoffe, die Venedig importieren musste. Rohstoffe hingegen fanden sich in Europe genügend, desgleichen Arbeitskräfte. Vor allem Böhmen tat sich in der Anwendung neuer Technologien hervor. Spätestens seit der Industrialisierung überragte die böhmische Glasproduktion die venezianische zumindest in quantitativer Hinsicht. Die böhmischen Glasperlen wurden in handwerklichen Industriebetrieben hergestellt und von Handelsvertretern in alle Welt verkauft.

Heute

Heute erleben wir wieder, wie die Produktion dem günstigen Standort folgt. Die Massenware kommt heute aus Ländern wie Indien, Indonesien, China, in denen die Produktionskosten (z. B. Arbeitslöhne) sowie die Umwelt- und Unfallvorschriften, etc. am lukrativsten sind.

Text mit freundlicher Genehmigung von Renate Müssler